Neue Wege in der Ausbildung und Arbeitswelt finden

Mitarbeitern eine Vision geben – Handwerk macht glücklich

 
Waldeck-Frankenberg. Die Handwerksorganisation tagte zu ihrer Mitgliederversammlung bei der Bäckerei Plücker in Waldeck (Alraft).
 
Brisante Themen diskutierten die Obermeister und ihre Stellvertreter zu der Arbeits- und Ausbildungswelt in der Zukunft. Bürgermeister der Stadt Waldeck, Jürgen Vollbracht, und Jürgen Müller, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Kassel, richteten ihre Grußworte zu Beginn der Versammlung an die Anwesenden.
 
Schwerpunktthema der Versammlung war der Fachkräftemangel, der für viele Unternehmen mittlerweile zur Bedrohung ihres Geschäftes wird.
 
Was vor 10 Jahren für Berufstätige prognostiziert wurde, trifft heute ein. Arbeitnehmer, die unter fünf Jobs wählen können, Schülerinnen und Schüler, die händeringend von Unternehmen für Ausbildung und berufsbegleitende Studiengänge gesucht werden. Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden können und Fachkräfte, die es nicht gibt.
 
Heute können Menschen, die halbwegs ordentlich ausgebildet sind, aus mehreren Joboptionen wählen. Deutschland kann nicht von der Zuwanderung von qualifizierten Ausländern profitieren, da wir in Sachen Bürokratie Weltspitze sind. Auswanderungsländer wie Indien oder China haben es auch einfacher in ein englischsprachiges Land zu gehen.
 
Aber nicht nur das hoch qualifizierte Fachpersonal ist rar. Der Fachkräftebedarf erweist sich an vielen Stellen als Mangel. Gastronomische Betriebe kürzen die Öffnungszeiten, weil sie kein Personal finden. Handwerker müssen Aufträge absagen oder Kunden über lange Wochen vertrösten, weil sie das Volumen einfach nicht bewältigen können oder kein Material zur Verfügung steht.
 
„Dazu kommt eine Wirtschaftspolitik in Berlin, die ebenfalls mehr zur Verunsicherung der Verbraucher und der Betriebe beiträgt, als Vertrauen zu stärken. Das hat insbesondere die Heizungsbranche hautnah miterlebt. Die Digitalisierung verlangt von vielen Betrieben, mit ihr Schritt zu halten, ob das wirklich gelingt, dass alle Betriebe und Menschen da schritthalten können, ist abzusehen.So ganz nebenbei quält uns das Kultusministerium in Wiesbaden mit der Reform der Berufsschullandschaft. Bäcker und Fleischer haben wir schon verloren. Was bleibt von der versprochenen Stärkung des ländlichen Raumes?Die Zahl der Auszubildenden ist von besonderer Bedeutung für die Arbeit in unseren Innungen und im Berufsbildungszentrum. Die erwartete öffentliche Förderung für eine Modernisierung des BBZ lässt immer noch auf sich warten. Ich habe hier den Eindruck, dass man auf ein langsames Ausbluten der ländlichen Bildungseinrichtungen setzt. Anderseits sind die Genehmigungsverfahren mittlerweile so komplex, dass sie kaum noch beherrschbar sind. Mit der Zeit laufen uns vielfach auch die Kosten davon. Ein Teufelskreis“, listet Kreishandwerksmeister Ulrich Mütze auf.
 
„In Sachen Nachwuchssuche hat die Kreishandwerkerschaft versucht, an allen Hebeln und Stellrädern zu drehen, um Lehrlinge zu rekrutieren. Aber: Der gesellschaftliche Wandel in den letzten Jahrzehnten hat die Erwartungen der Schülerinnen und Schüler, vor allem aber der Eltern, so in Richtung Studium fokussiert, dass es schwer ist, dagegen anzukämpfen.
 
Das Statistische Bundesamt hat vorgerechnet, dass 2021 4,3 Auszubildende auf 10 Studierende kommen. 1950 waren es noch 75. Aber das war vor 70 Jahren. Die Welt hat sich seitdem verändert“, rechnet Mütze vor.
 
Die Finanzierung der beruflichen Bildung ist ein Thema mit höchster Priorität. Es ist schon fragwürdig, dass die Bundesregierung die Mittel für die Überbetriebliche Lehrunterweisung (ÜLU) in Zeiten steigender Kosten und eines steigenden Fachkräftebedarfs nicht ausweitet, sondern kürzen will. Die handwerklichen Fachkräfte sind unverzichtbar für alle Transformationsaufgaben. Wir müssen mehr junge Menschen für das Handwerk gewinnen und ausbilden. Vor diesem Hintergrund ist eine dauerhaft bedarfsgerechte Ausstattung der Mittelansätze für Investitionen in Bildungsstätten erforderlich. Es reicht nicht aus, dass die Zuschüsse auf dem Vorjahresniveau bleiben, sie müssen angehoben werden: Es muss alles dafür getan werden, die Bildungsstätten modern zu halten und für die Herausforderungen der Energiewende auszurüsten. Ansonsten droht sich ein Vorhabenstau aufzubauen, der für den Standort Deutschland angesichts der Herausforderungen gerade in den Bereichen Energieumstieg und Nachhaltigkeit massive Nachteile bedeuten würde“, betont Kai Bremmer, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft.
 
„Unsere Schwierigkeit bei der Suche nach Personal wird darin bestehen, dass wir nur wenige bis keine Menschen finden werden, die dem gewünschten Tätigkeitsprofil entsprechen. Unsere Aufgabe wird es in Zukunft sein, Menschen einzustellen, die halbwegs dem Anforderungsprofil gleichkommen. Wir werden abteilungsübergreifend denken und handeln müssen. Das heißt, Verantwortungsbereiche müssen wir hin- und herschieben und es von einer zentralen Abteilung steuern lassen. Im besten Fall von der Personalabteilung. Hier muss wiederum die Personalabteilung für die Zukunft geschult werden“, ist sich Mütze sicher.
 
„In Zukunft müssen wir mehr für unsere bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun. Investitionen in Dienstleister für Kinderbetreuung und Pflege der Angehörigen unserer Angestellten werden überlebensnotwendig.
 
Nach wie vor ist das Studium der größte Konkurrent im Wettbewerb um den Nachwuchs. Umfragen zufolge macht ein Studium nicht unbedingt zufriedener und ist auch finanziell nicht automatisch von Vorteil. Wir müssen einen Mehrwert zum Job bieten. Gerade im ländlichen Bereich bietet sich die Zusammenarbeit mit Sport- und Fußballvereinen an, um Kontakte zum Nachwuchs zu bekommen“, ergänzt Mütze.
 
Kai Bremmer ist sich sicher, „den Nachwuchs kann man sich nicht mit einer Ausschreibung bei Instagram, TikTok & Co. garantieren. Nachwuchsarbeit ist ein langwieriger Prozess. Wir müssen uns neu orientieren. Wir brauchen mehr Kindergarten- und Schulprojekte, dass die Kinder in frühen Zeiten für das Handwerk ein Gefühl bekommen. Großeltern und Eltern, die früher mit dem Nachwuchs Vogel- und Baumhäuser gebaut haben, sind heute eher selten. Doch sie haben einen Einfluss auf die Schul- und Berufsausbildung ihrer Kinder. Nicht nur wir Erwachsenen brauchen persönliche Herausforderungen, die Sinn machen und ein angenehmes menschliches Umfeld bieten. Viele junge Menschen sehnen sich heutzutage immer mehr nach Sinnhaftigkeit. Nur Geld verdienen? Da ist schon lange nicht mehr das Ziel der jungen Generation. “
 
Mütze und Bremmer bleiben auch in schwierigen Zeiten optimistisch, denn laut einer Umfrage sind die meisten Handwerker glückliche Menschen. „Mein Beruf macht mich glücklich“ – das sagten 79,7 Prozent der Handwerker, die bei einer aktuellen Umfrage der IKK classic (März 2023) mitgemacht haben.
„Das Glück bei der Arbeit besteht aus drei Faktoren: Sinnempfinden, Selbstverwirklichung und Gemeinschaft. All das können Menschen im Handwerk finden. Zudem erfährt die Mehrheit der Handwerker viel Wertschätzung und das hat auch positive Effekte für die Gesundheit“, sind sich Mütze und Bremmer einig.
 
Mütze ist zuversichtlich, „die Kreishandwerkerschaft bleibt zuverlässig vor Ort und ist und bleibt der erste Ansprechpartner für unsere Betriebe, für die Auszubildenden und die regionale Politik. Unsere Betriebe werden mit ihrer Flexibilität dafür sorgen, dass es auch in Zukunft gute und gutverdienende Handwerksbetriebe geben wird, die auch Mitglied in unseren Innungen sind und weiterhin die Basis für eine funktionierende Handwerksorganisation bilden. Wir sind das `Rathaus des Handwerks´.“
 
In ihrer Versammlung fassten die Obermeister einige zukunftsweisende personalpolitischen Beschlüsse. Zukünftig ergänzen Heide-Rose Barbe und Guido Laube das Geschäftsleitungsteam um Kai Bremmer. Gerhard Brühl wird zum 01.12.2023 altersbedingt ausscheiden.
 
 
Bild: Die Handwerksorganisation mit ihren Mitgliedern tagte bei Firma Plücker in Waldeck-Alraft.

Zurück