Die Herausforderungen im Handwerk zur aktuellen Situation

Ukraine-Krieg - Energiekrise - Inflation

 

Die derzeitigen Nachrichten scheinen eine Hiobsbotschaft nach der anderen bereitzuhalten. Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation – all das wirkt sich auf die heimischen Handwerksbetriebe aus. Gerhard Brühl, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Waldeck-Frankenberg, und Kreishandwerksmeister Ulrich Mütze im Interview zu den aktuellen Entwicklungen.

Wie sieht die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt aus?

Gerhard Brühl. Die Zahl der Erwerbstätigen mit über 45 Millionen und der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit rund 34 Millionen [Stand November 2021] sind neue Höchstwerte. Diese Entwicklungen führen dazu, dass in immer mehr Branchen und Regionen schon jetzt qualifizierte Fachkräfte fehlen. Dies gilt auch für das Handwerk: Die Zahl der offenen Stellen für Fachkräfte im Handwerk wird auf ca. 200.000 geschätzt. Schon jetzt stellt die Fachkräftesicherung eine enorme Herausforderung für die deutsche Wirtschaft und insbesondere für die kleinen Betriebe des Handwerks dar.

Die Ansprüche ans Handwerk durch die Vorhaben der Bundesregierung werden immer größer. Nur wenn es genug Handwerker gibt, können die Ziele der Bundesregierung verwirklicht werden. Wenn aber weiter jedes Jahr rund 20.000 Ausbildungsplätze, die unsere Betriebe ja anbieten, nicht besetzt werden können, dann werden weder 400 000 Wohnungen pro Jahr gebaut noch die Solarmodule für die Energiewende installiert, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Fachkräftesicherung – wie kann das aussehen?

Ulrich Mütze: Es geht um Anerkennung und Wertschätzung. In der Gesellschaft herrscht die Einstellung: Handwerker – schön, sie zu haben, aber nicht schön, es selbst zu sein. Das müssen wir ändern. Wir müssen auch Eltern, Lehrern, Mitschülern und Freunden vermitteln, dass man im Handwerk eine gute Karriere machen kann, die mit einer akademischen vergleichbar ist. Ein Handwerksmeister ist wahrscheinlich bis zur Rente nicht von Arbeitslosigkeit bedroht, und als Selbständiger kann er mehr verdienen als ein Uniabsolvent. Darauf machen wir mit unserer Imagekampagne im Fernsehen und auf Plakatwänden immer wieder deutlich. Wir schicken Ausbildungsbotschafter in die Schulen, nutzen elektronische Medien und vieles mehr. Außerdem können wir bald wieder Praktika in den Betrieben anbieten. Die sind der Schlüssel zur Ausbildung. Das hat Corona zwei Jahre lang verhindert.

In welchen Handwerksberufen sind zurzeit noch viele Stellen frei?

Ulrich Mütze:
Das Lebensmittelhandwerk hat sehr zu kämpfen, vor allem Bäcker und Metzger. Aber insbesondere alle Bauberufe sind dazugekommen sowie alle, die mit Energiewende und Klimaschutz zu tun haben. Etwa Elektroniker von der Bauelektrik bis zum Gebäudesystemintegrator. Auch Hoch-, Tief- und Straßenbau. Mittlerweile fehlen sogar im Kfz-Bereich Fachkräfte.

Durch den Ukraine-Krieg wird es zu für das einem starken Zustrom von Flüchtlingen kommen. Es wird damit gerechnet, dass die Bundesregierung den Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt. Erwarten Sie damit wesentliche Impulse für den Ausbildungsmarkt im Handwerk mit einer mittelfristigen Entlastung der Situation?

Gerhard Brühl: Das Handwerk steht für Geflüchtete aus der Ukraine bereit, sie in die Betriebe zu integrieren. Der Angriff Russlands hat uns tief erschüttert, wir verurteilen den Angriff aufs Schärfste, und wir unterstützen alle Maßnahmen der Bundesregierung und der internationalen Gemeinschaft mit ihrem Ziel, dass dieser Krieg möglichst rasch endet.

Der Krieg wird auch direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf das Handwerk haben. Hinzu kommt, dass wir seit einiger Zeit coronabedingt mit gestörten Lieferbedingungen, Materialengpässen und steigenden Energiepreise zu kämpfen haben. All das wird sich wohl durch den Krieg noch verschärfen.

Das Handwerk wird auf jeden Fall Ukrainern, die nach Deutschland flüchten, Beschäftigung und Perspektive bieten können.

Wie schon in vorherigen Flüchtlingskrisen machen wir unsere Türen ganz weit auf. Das Handwerk ist offen, diese Menschen aufzunehmen und sie in die Betriebe zu integrieren. Ukrainer sind Menschen, die für sich selbst sorgen wollen. Sie sind sehr ehrgeizig, und jetzt müssen sie für ihre Familien und für in der Heimat gebliebene Angehörige sorgen. Da ist Arbeit sehr wichtig und für die jungen Leute, eine Ausbildung zu bekommen. All das können wir im Handwerk anbieten. Aus der Ukraine kommen in der Regel gut ausgebildete Facharbeiter und es hat sich gezeigt, dass sie gewerkeübergreifend sehr flexibel einsetzbar sind.

Viele Betriebe haben mit den Folgen des Russland-Embargos zu kämpfen – wie ist die aktuelle Situation im hiesigen Landkreis?

Ulrich Mütze: Bei einer mit der Dauer des Krieges immer größer werdenden Anzahl von Handwerksbetrieben geraten Produktionsabläufe ins Stocken: Das fängt bei Metall-, Elektro- und Bauhandwerkern im Hinblick auf Stahl und weitere Metalle an oder beim Straßenbau, da ein Großteil der Bitumen aus der Ukraine kommt. Weiter geht es über die industriellen Zulieferer bis hin zu Bäckern, Müllern und Konditoren, da Weizen und Sonnenblumenöl fehlen. Dazu sind alle Handwerkbetriebe wie auch wir Verbraucher zu 100 Prozent von den kriegsbedingten Preisexplosionen bei Energie betroffen.

Wenn es weniger Zulieferteile gibt und Lieferketten gestört sind, steigen die Preise, teilweise explodieren sie förmlich. Das müssen die Handwerksbetriebe genauso weitergeben wie höhere Kosten durch den Mindestlohn. Niederschlagen wird sich in der Kalkulation auch, dass höhere Lohngruppen mehr verlangen, weil sie den Abstand beim Verdienst zum Mindestlohn wahren wollen. Das wird nur teilweise durchzusetzen sein, und es sorgt für Unfrieden in den Betrieben.

Unsere Betriebe können die enormen Preissprünge nicht allein auffangen, umso weniger können die enormen Preissteigerungen in dieser Höhe nicht vollständig an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden. Die jetzt von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen zielen jedoch vor allem auf eine Entlastung von Privathaushalten, haben aber nicht ausreichend die Belange unserer Betriebe im Blick. Ihre Leistungsfähigkeit wird jedoch jetzt erst recht gebraucht, damit Deutschland die Lasten des Krieges schultern kann, und damit wir schnellstmöglich die Energiewende schaffen.

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